Feme im Mittelalter

Einführung

Die Vehmgerichte (oder auch: Feme, Vehme, heilige Feme) muss man sich wie eine Gerichtsverhandlung vorstellen. Sie luden Straftäter vor, führten Gericht und verurteilten den Beschuldigten oder ließen ihn freisprechen. Im Falle einer Verurteilung wurde die Todesstrafe angewandt, da sich die Feme nur bei „todeswürdigen“ Vergehen einschalteten. Wenn jemand angeklagt wurde, hefteten die Femehelfer den Vorladungsbrief an seine Haustür, Gartenzaun, Stadt- oder Burgtor. Der Angeklagte musste dann vor dem Vehmgericht erscheinen. Gehalten wurden die Feme nur in Westfalen. Die Teilnehmer am Vehmgericht waren angesehene Bürger, von denen jedoch niemand wissen durfte, dass sie Richter oder Schöffen beim Vehmgericht waren. Unter sich hatten sie geheime Formeln und Grüße.

Mit diesen Informationen zur Grundlage wurde viel mit der Fantasie gespielt und die Feme wurden so durch Weitererzählen immer geheimnisvoller, sie fanden demnach nachts statt, nur an dunklen Orten, in alten Burgruinen, Menschen verschwanden spurlos und wurden nie mehr gesehen usw.

Tatsächlich wurden die Feme aber am Tag durchgeführt, meist unter dem alten Gerichtsbaum aus germanischer Zeit, der Linde. Die Feme entstanden im 13. Jahrhundert und verschwanden mit dem Ausgang des Mittelalters immer mehr.

Annegarn schreibt in seiner Weltgeschichte dazu:

Das Vehmgericht ist eine merkwürdige Erscheinung in der deutschen Geschichte. Noch heute erregt es oft mächtig die Einbildungskraft, wohl hauptsächlich deshalb, weil durch manche Schriften ganz abenteuerliche und unrichtige Vorstellungen über das Vehmgericht verbreitet sind. Das Wort „Veme“ ist vor dem dreizehnten Jahrhundert nicht bekannt; es bezeichnet eine Gesellschaft oder Genossenschaft, im Besonderen einen Gerichtsverband. Die Vehmgerichte aber sind, gleichwie ein Baum aus mehreren Wurzeln, aus mehreren Rechtsbräuchen hervorgegangen, die sich zum Teil schon zu den Zeiten Karls des Großen und in noch früheren Zeiten gebildet haben. Ihre Hauptwirksamkeit fällt jedoch erst in den letzten Abschnitt des vierzehnten Jahrhunderts, wo ihre Urteilssprüche eine Zeitlang in ganz Deutschland Schrecken erregten. Gesprochen wurde das Urteil nur in Westfalen, auf der „roten Erde“, wie man später sagte. Diese Bezeichnung ist nämlich erst am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nachweisbar; wahrscheinlich entstand sie in Franken, in der Nachbarschaft eines westfälischen Grenzstriches mit rötlichem Erdboden. Der Ort der Sitzung hieß der „Freistuhl“; die berühmtesten Freistühle standen in Dortmund und Arnsberg.

Inhalt

Teilnehmer der Feme und ihre Rituale

Der Vorsitzende des Gerichts war der Freigraf, der von dem König selbst seine Bestätigung erhielt. Über den Freigrafen stand der Erzbischof von Köln, als Herzog von Westfalen; dieser hieß auch wohl der oberste Stuhlherr. Die Teilnehmer oder Beisitzer des Vehmgerichts waren die „Freischöffen“ oder die „Wissenden“.

Wer Schöffe werden wollte, dessen Unbescholtenheit musste durch zwei Bürgen gewährleistet werden. Im heimlichen Gericht machte der Freigraf den Geprüften zu einem wissenden Mann: da teilte er ihm nämlich seine Pflichten mit, nahm ihm den Eid ab und eröffnete ihm zum Schluss die geheimen Worte und Erkennungszeichen. Der Aufzunehmende kniete zur Ablegung des Eides barhaupt nieder, legte zwei Finger seiner rechten Hand auf Schwert und Strick und schwor:

„Ik gelove by der hilgen Fe, dat ik numer will die Veme waren, helen und hoden, und halden vor Mann vor Wif – vor Torf vor Twig – vor Stock vor Stein – vor Gras vor Grein – vor alle dat tuschen Hemel ind Erden – Got heft laten werden – wente an den Man – de de Veme halden kann.“

(Das heißt: „ich gelobe bei dem heiligen Gesetze, dass ich nunmehr will die Feme bewahren, verheimlichen und hüten, und halten vor Mann vor Weib – vor Torf vor Zweig – vor Stock vor Stein – vor Gras vor Grein – vor allem, was zwischen Himmel und Erden – Gott hat lassen werden – ausgenommen vor dem Mann – der die Feme halten kann.“)

Jetzt sagte der Freigraf mit bedeckten Haupt die heimlichen Namen oder die Losung:

„Stock, Stein, Gras, Grein.“

Dann lehrte er sie den heimlichen Schöffengruß, Der ankommende Schöffe legt seine rechte Hand auf die linke Schulter und sagt;

„Ik grüt ju, lewe Mann!
Wat fange ji hi an?“
(„Ich grüß Euch, lieber Mann!
Was fanget Ihr hier an?“)

Dann legt er seine Rechte auf des andern linke Schulter, worauf dieser das Gleiche tut und dabei spricht:

„Allet Glücke kehre in,
Wo die Fryenscheppen sin.“
(„Alles Glück kehre ein,
Wo die freien Schöffen sein.“)

Außerdem sagt der Freigraf, wie ein altes Rechtsbuch der Feme berichtet, „das Notwort, das Karolus Magnus der heimlichen Acht gegeben hat, nämlich: „Reinig dor Feweri!“ – Wenn ein Schöffe das Geheimnis verrät, „soll man ihm,“ so hieß es, „seine Hände zusammenbinden, ein Tuch um seine Augen legen, dann einen dreifach geflochtenen Strick um seinen Hals legen und sieben Fuß höher hängen, als einen verfemten Dieb.“

Zuständigkeiten der Feme

Die Verbrechen, über die die Vehmgerichte richteten, waren hauptsächlich Diebstahl, Raub, Mord, Meineid und unrechtmäßige Fehde; später kam noch manches andere hinzu. Sowohl Nichtwissende als auch Wissende wurden vor die Freistühle gefordert. Das Verfahren selbst war folgendes: Nachdem im so genannten heimlichen Gericht, die gegen jemand erhobene Anklage angenommen war, wurde dem Angeklagten von den Freischöffen oder Fronboten die Vorladung vor ein offenes Freigericht überbracht. Eine derselben, die in Urschrift auf uns gekommen ist, lautet also:

„Wisset, Hermann Degler und sein Sohn Albert Strodemann, dass ich, Jakob Stoffregen, Freigraf der Grafschaft zu Rheda, Euch tue bitten und entbiete von des heiligen Reiches wegen unter Königsbann, dass Ihr kommt vor den Freistuhl an dem Hundehof bei der Mühle zu Rheda am nächsten Montag nach St. Bartholomäustag zur rechten Richtzeit am Tage und antwortet dort auf die Klage des Johann Stroding, weil die Klage Euch allen hoch geht an Euren Leib und Ehre. Guten Freunde, hie kehret Eure Weisheit zu, dass der schweren Gerichte über Euch keine Not tut.“

Wenn der Verklagte etwa auf einem Schloss wohnte, in das man nicht ohne Gefahr gelangen konnte, so ritten die Schöffen des Nachts vor das Schloss, hauten aus dem Torriegel drei Späne, hefteten dann entweder den Ladebrief an das Tor oder riefen die Wächter an, damit sie die Ladung bestellten. Die ausgehauenen Späne nahmen sie zum Zeugnis mit. Vielfach wurden die Schreiben auch im Dunkel an die Tore der Stadt gesteckt, in der der Vorzuladende sich aufhielt; oder man befestigte sie an Gartenzäunen; auch warf man sie auf die Landstraßen oder auf den Boden der Kirchen.

Ablauf der Feme

Das Freigericht wurde an der alten Malstätte, d. h. Gerichtsstätte gehalten, und zwar ebenso wie das heimliche Gericht nur unter freiem Himmel am hellen Tage von morgens bis nachmittags. Ein kleiner Mann war von festen Schranken umzogen, in der Mitte stand ein Tisch, auf dem Tisch lagen Schwert und Strick. Auf den Bänken zur Seite saßen die sieben Freischöffen. Die Menge der Zuhörer stand um die Schranken ringsum. Erschien der Verklagte nicht, so wurde er für schuldig gehalten und verurteilt, wenn der Kläger die Klage mit sechs Eideshelfern, die aber nur aus den Freischöffen genommen wurden, erhärten konnte. Nichtwissende haben sich sicher nur selten dem Vehmgericht gestellt, da sie ohne Hilfe von Freischöffen verloren waren, besonders wenn ein Wissender klagte.

War der Angeklagte ein Vehmgenosse, so fand manchmal ein Überbieten in der Zahl der Eideshelfer statt, indem er sich schließlich durch dreimal sechs Eideshelfer, die er in langer Kette an seiner Hand vor Gericht führte, von der Anschuldigung reinigen und die Freisprechung erlangen konnte. Die Verurteilung hieß Verfemung und hieß gleichzeitig immer Todesstrafe. In diesem Fall ließ der Freigraf den Spruch ergehen, dass er den Schuldigen aus allem Frieden, allem Recht und aller Freiheit in Königsbann und Wette und in den höchsten Unfrieden setze, ihn rechtlos, friedlos und ehrlos erkläre, seinen Hals dem Strick, seinen Leichnam den Vögeln der Luft überweise, dass er Gott im Himmel seine Seele befehle; sein Lehen und Gut solle ledig, sein Weib solle Witwe, seine Kinder Waisen sein.

Urteilsvollstreckung – Tod durch den Strang

Die „höchste Wette des Königs“ war der Tod durch den Strang. Daher nahm jetzt der Freigraf den Strick, der gewöhnlich aus Weiden geflochten war und daher die „Wide“ hieß und warf ihn über die Schranken des Gerichts und zum Schluss ermahnte er alle Freigrafen und Freischöffen bei ihren Eiden und Treuen, den verführten, verfemten Mann zu strafen, wo immer sie an ihn kommen möchten, nach ihrer Macht und Kraft. Trafen Freischöffen, die mindestens zu dritt sein mussten, einen solchen Verfemten, so knüpften sie ihn an dem nächsten Baum auf, ohne demselben etwas zu nehmen. In außerordentlichen Fällen, wenn ein Verfemter in ungebräuchlicher Weise getötet worden war, steckten die Schöffen ein Messer neben ihn, zum Zeichen, dass er von der Feme bestraft sei. Dieselbe Strafe wurde vollzogen, wenn drei oder mehr Genossen des heimlichen Gerichts einen todeswürdigen Verbrecher auf frischer Tat ertappten. „Einen auf frischer Tat ertappen“ hieß nach westfälischer Sprachweise ihn mit „hebender Hand“ antreffen; dieser handhaften Tat wird oft „gichtiger Mund“ und „blickender Schein“ gleichgestellt, d. h. das Geständnis und der Augenschein.

Das Ende der heiligen Feme

Der ursprüngliche Wirkungskreis der Vehmgerichte erstreckte sich, wie oben erwähnt, nur auf Westfalen, wo überhaupt die alten Einrichtungen und die kaiserliche Gerichtsbarkeit sich am längsten hielten, später aber dehnten sie ihr Richteramt auch auf andere Teile Deutschlands aus. Westfalen, die „rote Erde“, das Land zwischen Weser und Rhein, blieb jedoch der Mittelpunkt; nur hier durfte ein Freischöffe aufgenommen oder wissend gemacht werden.

Das Amt des Freischöffen war ehrenvoll; selbst Fürsten und Edle leisteten den Schöffeneid. So ließ sich auch König Sigismund im Jahre 1459 in Dortmund als Schöffe aufnehmen. So lange die Freigerichte auf große Verbrechen sich beschränkten, gegen die die übrigen Gerichte nicht so kräftig wirken konnten, waren sie in wirren Zeiten oft nützlich und eben so geachtet wie gefürchtet; als sie aber anfingen, ihre Befugnis zu überschreiben und in Streitigkeiten mit anderen Gerichtsbehörden gerieten, wurden sie verhasst. Deswegen erhob man später vielfach Widerspruch gegen dieselben und als die Landeshoheit, die jeden Landesherrn zum obersten Gerichtsherrn in seinem Gebiet machte, vollendet war und das Gerichstwesen im sechzehnten Jahrhundert in Deutschland neu eingerichtet wurde, verschwanden sie allmählich ganz aus der Geschichte.

In gänzlich veränderter Gestalt freilich haben noch einzelne Reste sich bis in das 19. Jahrhundert erhalten. Das letzte Freigericht zu Gemen in Westfalen wurde erst im Jahre 1811 förmlich aufgehoben und der letzte Freigraf starb im Jahre 1835. Das vermeintliche Geheimnis der Losung wollten er und die letzten Schöffen niemandem mitteilen; sie haben es mit ins Grab genommen.

Schluss

Viele Fabeln sind, wie schon angedeutet, über die Vehmgerichte lange Zeit verbreitet gewesen. Wenn sich auch bei denselben, besonders späterhin, ein Streben nach Heimlichkeit kundtut, so haben sich doch die Vehmgerichte nicht in das dichte Dunkel gehüllt, wie Dichter und Romanschreiber erzählen. Für uns hat die Feme überhaupt keine Heimlichkeit mehr, da ihre Rechtsbücher und Schriften offen vor uns liegen. Die Losung besteht nur in ein paar Worten aus dem Vehmeid und selbst das seltsame Notwort ist schon sinngemäß gedeutet worden.

Wenn auch die Vehmgerichte ferner sich manches Recht willkürlich angemaßt haben und auch Missbräuche bei diesen Gerichten vorgekommen sind und die ganze Form des Verfahrens bedenklich war, so haben sie sich doch, wie jetzt, seitdem man ihr Wirken aus Urkundne in neuerer Zeit besser kennen gelernt hat, feststeht, keine solche Frevel erlaubt, wie man früher meinte. Auch die Zahl der wirklich vollzogenen Todesurteile ist nach allem, was wir wissen, sehr gering. Kerkerhaft, Folter und Schauder erregende Todesstrafen, die bei anderen Gerichten damaliger Zeit vorkommen waren der Feme unbekannt. Auch konnte ein Verurteilter stets bei einem anderen Freistuhl Berufung einlegen.

Das Gericht wurde, wie sonst, „bei rechter Tageszeit und scheinender Sonne“ gehalten, unter freiem Himmel, an der alten Malstätte, etwa unetr einer alten Eiche oder Linde, am Hollunder, im Baumgarten, nicht des Nachts, nicht in Höhlen, finsteren Gewölben oder einsamen Burgen.

Quelle:

  • Annegarn, Josef (Hrsg.); Enck, Dr. August; Huyskens, Dr. Victor. Annegarns Weltgeschichte in 8 Bänden. 9. Auflage. 5. Band: Geschichte des Mittelalters 2. Teil. Münster I. W.: Verlag der Theissingschen Buchhandlung, 1904.
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